Kugelstoßer Tobias Dahm beendet seine Karriere
  08.04.2022 •     WLV , Top-News WLV , BW-Leichtathletik , Top-News BW-Leichtathletik


Ein großer Athlet und langjähriger Sindelfinger Leistungsträger hat Ende März die Leichtathletikbühne verlassen. Lange hat Tobias Dahm mit sich gerungen und nun entschieden: Er beendet seine Karriere als Kugelstoßer und geht in der anstehenden Leichtathletiksaison nicht mehr auf Weitenjagd.

Seit 2007 war Dahm für den VfL Sindelfingen am Start und feierte im blau-weißen Trikot große Erfolge. Mit einer persönlichen Bestleistung von 15,76 Metern wechselte er vom VfL Ostelsheim in den damals wachsenden Kugelstoß-Kader des Vereins, sehr zur Begeisterung des damaligen Abteilungsleiters Markus Graßmann. Schon früh wurde Dahms Talent entdeckt, als 15-Jähriger begann er mit ersten Trainingseinheiten am Olympiastützpunkt Stuttgart unter Peter Salzer und wurde parallel in Ostelsheim von Onkel und Trainer Joachim Lange geformt.

Bemerkenswert ist seine spezielle Form der dualen Karriere. In all den Jahren übte er als Kfz-Mechatroniker einen Vollzeit-Job aus und vollbrachte im Feierabend sportliche Höchstleistungen. „Die Doppelbelastung war eine zusätzliche Herausforderung, die Regeneration leidet natürlich darunter, aber das war eben mein Weg“, so der heute 34-Jährige.

Jahr für Jahr steigerte er sich kontinuierlich. 2010 gelang ihm mit Platz acht bei den Deutschen Hallenmeisterschaften in Karlsruhe ein erstes Achtungszeichen bei den Aktiven, im selben Jahr steigerte er sich unter freiem Himmel auf 18.63 Meter. Die 19-Meter-Marke war zwei Jahre später fällig, bei den Deutschen Meisterschaften in Bochum-Wattenscheid wuchs Dahm in einem spannenden Wettkampf über sich hinaus und gewann mit Bestleistung von 19,56 Metern die Bronzemedaille. Sein erstes nationales Edelmetall, damals noch im Schatten von Marco Schmidt, der sich mit einem 20-Meter-Stoß für die EM in Helsinki qualifizierte. In den Folgejahren schien die Leistung zu stagnieren, die 20-Meter-Marke war zu seiner persönlichen Grenze geworden. Wieder und wieder verpasste Tobias Dahm die 20 Meter knapp, doch zahlreich errang der Sindelfinger nun Medaillen bei Deutschen Meisterschaften. International erzielte er Platz acht bei den Hallen-Europameisterschaften 2015 in Prag.

Der Knoten platzte endlich 2016, gerade rechtzeitig, um sich den großen Traum Olympische Spiele zu erfüllen. Der erste Stoß bei einem Hallenmeeting in Sassnitz flog über die 20 Meter und gleich noch viel weiter. Es wurden 20,56 Meter gemessen, damit hatte sich der Sindelfinger überraschend zusätzlich noch die Norm für die Hallen-Weltmeisterschaften gesichert. In Portland sprang ein guter achter Platz heraus. Unter freiem Himmel biss sich Dahm zwar die Zähne an der Olympianorm von 20,50 Metern aus, zeigte aber weiterhin starke Stöße und baute seine internationalen Erfolge aus. Es folgte Platz sieben bei den Europameisterschaften in Amsterdam mit 20,42 Metern, acht Zentimeter zu wenig. „In der Qualifikation war ich in Topform, aber nach dem ersten Stoß war der Wettkampf vorbei, weil ich die Norm für das Finale gestoßen hatte. Das war verschwendet, ich hätte an diesem Tag sicherlich noch weiter stoßen können“, erinnert sich Dahm. Nach viel Zittern schafft es der Sindelfinger aber ins deutsche Olympiateam und erlebt in Rio de Janeiro den Höhepunkt seiner sportlichen Karriere.

Das Jahr der Höhenflüge erlebte aber am 30. Dezember 2016 einen tragischen Tiefpunkt. Im Jahresabschlusstraining riss die Achillessehne des Athleten. Doch Tobias Dahm gab nicht auf, sondern kämpfte sich nach dieser schwerwiegenden Verletzung zurück. „Darauf bin ich stolz. Es war ein harter Weg, ich musste quasi neu Laufen lernen. Aber ich habe immer gedacht: Ich kann so nicht aufhören.“ Erst 2020 erreichte der Sportler sein altes Niveau. Mit 20,13 Metern in Leipzig gewann er die Silbermedaille bei den Deutschen Hallenmeisterschaften.

Mit einer Größe von 2,03 Metern brachte der Athlet rein physiologisch beste Bedingungen für das Kugelstoßen mit. Bis zuletzt arbeitete er hart daran, den komplexen Bewegungsablauf zu perfektionieren und war als Vertreter der Angleit-Technik einer der letzten seiner Art. In der Deutschen Spitze verbleibt nur noch Weltmeister David Storl, der Rest der nationalen Konkurrenz dreht sich mit der Kugel im engen Ring, konnte sich damit aber bislang noch keinen erheblichen Vorteil verschaffen. In der aktuellen Hallensaison waren für eine Medaille bei den Deutschen Hallenmeisterschaften nur 19,24 Meter nötig. Doch Tobias Dahm konnte trotz einer guten Vorbereitung nicht am ersten Saisonhöhepunkt teilnehmen, eine Regenbogenhautentzündung im Auge stoppte den Sindelfinger, der zuletzt unter Markus Reichle und Artur Hoppe trainierte. Damit bleibt der letzte Wettkampfauftritt Dahms die Teilnahme bei den baden-württembergischen Meisterschaften im vergangenen Jahr in Ulm.

„Ich habe immer gesagt, wenn ich nicht mehr konkurrenzfähig bin, höre ich auf“, so Dahm. Ich habe noch im März voll trainiert, meine Kraft- und Schnelligkeitswerte waren in Ordnung, aber die Weiten mit der Kugel sind einfach nicht mehr gekommen“, sagt der Athlet, dessen Anspruch es immer war, noch eine Medaille bei Deutschen Meisterschaften gewinnen zu können. Auch hatten die Heim-Europameisterschaften in München durchaus ihren Reiz, „davon war ich aber weit entfernt“, resümiert der Sindelfinger. Schließlich sind für eine direkte Qualifikation 20,85 Meter fällig.

Tobias Dahm war über zwei Jahrzehnte mit der Kugel unterwegs, die Faszination ist beim 34-Jährigen nach all den Jahren ungebrochen. „Der Reiz ist, in kürzester Zeit die maximale Geschwindigkeit und die maximale Kraft einzusetzen und die Kugel dabei so weit wie möglich zu stoßen“, sagt Dahm. Und so legt er zwar sein Wettkampfgerät beiseite, wird aber nach wie vor regelmäßig am Olympiastützpunkt anzutreffen sein, allein um seine gewaltigen Muskelmassen abzutrainieren. „Außerdem stehe ich den Nachwuchsathleten gerne mit Rat und Tat zur Seite und will mich nicht komplett verabschieden“, sagt Dahm, der auch eine Trainertätigkeit nicht ausschließen möchte.